In der Reihe QUERDENKEN sprach Buchautorin Corinna Milborn über die „Gestürmte Festung Europa“ und wünschte sich von den Grünen mehr Radikalität.
Manche Dinge können Geschichte erzählen.
Ein westafrikanisches Fischerboot etwa. Seit die EU das Meer vor dem Senegal leer gefischt hat, ist mit handwerklichen Methoden kein Fang und kein Einkommen zu machen. Nicht alle Boote liegen brach. Angefüllt mit Auswanderern machen sie sich auf zu den Kanarischen Inseln. An die 6000 Ertrunkene, die in die EU wollten, wurden seit 1993 gefunden, umgekommen sind nach Schätzung des Roten Kreuzes dreimal soviel.
Burkina Faso in der Sahelzone. Die von der EU verordnete Umstrukturierung: Baumwollplantagen für den Export; Einschränkung von Sozialbudgets; Öffnung für subventionierte Lebensmittel aus der EU-Überproduktion. Die Folgen: Der Baumwollpreis ist unter die afrikanischen Produktionskosten gefallen. Die Familien brauchen für die Gesundheitsversorgung Geld – aber mit selbst erzeugten Lebensmitteln ist nichts zu verdienen, solange das europäische Angebot in den Regalen so billig ist. Was bleibt, ist den geraubten Ressourcen nachzuwandern, auf den Boden der EU.
In der EU gibt es 15 Millionen Illegale …
Und sie profitiert nicht nur bei der Schaffung der Ursachen, sie profitiert auch von den Illegalen selbst. Ortsgebundene Branchen, die nicht in Billiglohnländer auslagern können (wie Landwirtschaft, Bau, Gastronomie/Tourismus, private Haushalte), holen sich durch Einsatz von Illegalen als schutzlose Arbeitskräfte das Billiglohnniveau ins eigene Land. Die Politik weiß es – und schaut größtenteils weg. Legalisierung würde die Löhne heben und den Sozialstaat mitfinanzieren. In Spanien und Italien gab es Ansätze dazu.
Ein Fischerboot voll Auswanderer bringt bis zu 80.000 Euro. Die Hälfte wird in die Bestechung des Grenzschutzes investiert. Das zeigt die Realitäten, denen sich Europa zu stellen hat. Der Strom der Einwanderung ist nicht zu stoppen. Das Einzige, was die Versuche bewirken: ein Massengrab im Meer und ein Pulverfass der Illegalität in der EU.
… denen sie ihre Werte verweigert
Die EU hat einen höheren MigrantInnen-Anteil als die USA. Die weiße, christliche Leitkultur ist eine Illusion. Das Pulverfass ist, dass die Gesellschaft in drei Schichten zerfällt:
1. Eingesessene StaatsbürgerInnen mit allen Rechten
2. Menschen ohne Staatsbürgerschaft (denen die demokratische Teilhabe verweigert wird)
3. Illegale ohne alle Rechte und Sicherheiten; dafür mit der Erfahrung ihres tagtäglichen Ausgeschlossenseins, das den Boden für Hass und Gewalt erzeugt.
Es geht weder um Kulturen, noch um Religion, noch um Integration. Es geht um Teilhabe, um den fairen Zugang zu formaler und sozialer Gerechtigkeit für alle hier, wie es den europäischen Grundwerten entspricht.
Ceuta an der Nordküste Marokkos ist ein Stück EU in Afrika. Dort verläuft der berüchtigte, hochgerüstet Zaun. Mit teurem, EU-finanziertem Bewachungsaufwand. Viele von denen, die ihn trotz Schießbefehl überwinden, erhalten umgehend Asyl. Im Asyllager finanziert die EU ohne zu Zögern die Heilung jener schweren Verletzungen, die sie sich zugezogen haben. Als ob Menschlichkeit das Selbstverständlichste zwar nicht auf der Welt, aber doch in Europa wäre.